Ein grüner Sessel im Bottroper Quadrat

 

Die literarische Welt NRWs mit dem grünen Vorlese-Sessel umrunden, an die schönsten und spannendsten Plätze reisen, das wollte der Regionalsender

tv.nrw. Autoren wurden aufgefordert, ihre Werke zu nächtlicher Zeit selbst zu präsentieren, aus einem bereits veröffentlichten Buch vorzulesen. Ein

literarischer Tagesausklang, aufgezeichnet für die „Literarische Reihe

Nach(t)lese“, gestartet mit 50 Lesestunden im Mai 2002.

 

Freundlichkeit am Telefon: „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind

dabei, wir möchten Ihre Lesung für unsere Nachtsendungen aufzeichnen!“ Aufgeregte Freude, TV-Ruhm, Millionen Zuschauer, Stolz, Blamage, Kritik – das alles meldete sogleich mein Kopf. Da verschluckt sich schon mal die Stimme.

„Natürlich kann ich 'ne ganze Stunde am Stück lesen, kein Problem!“

Jetzt räusperte sich meine Antwort.

„Am Schloss Oberhausen? Warum in Oberhausen? Es gibt doch

auch in Bottrop ansprechende Sehenswürdigkeiten. Das Quadrat zum Beispiel, unser Josef Albers Museum. – Kennen Sie nicht? Wird im Internet aber hübsch vorgestellt.“

„Gut, dann eben im Quadrat-Museum. Wir kümmern uns drum!“

 

Die hohe Halle für wechselnde Kunstausstellungen im

Bottroper Quadrat betrete ich stets mit großem Respekt. An meinem exklusiven Lesetermin schob mich zusätzlich Lampenfieber in die Stille der bildenden Kunst.

Ein tv.nrw-grüner Riesensessel in der Mitte des Raumes bremste jedes

Übersehen, konnte in gemütlicher Ausdehnung und samtiger Stoffbespannung Autoren jeder Körpergröße aufnehmen.

 

Zwei Herren empfingen mich am mobilen Kabelset mit netter Aufforderung zum sofortigen Beginn. Keine Zeit für ängstliches Zögern. Ich versank mit gedrosseltem Mut in apfelgrünen Polstern der „etwas anderen Lesereise“.

Grelle Strahler gleißen in jede Hautpore. Blitzschnell wuselte ein dicker Puderpinsel über mein Gesicht, der die schweißtreibende Aufregung anderer Autoren als zarten Duft transferierte.

„Schließlich sollen nur Ihre Augen glänzen!“, kommentierte der Kameramann.

„Versprecher korrigieren oder einfach weiterlesen, wie vor

Publikum, das kennen Sie ja!“

 

Der Ruhetag im Museum brachte keine Zuhörer aufs Parkett.

Bereits nach dem ersten Gedicht rutschte der Beleuchter in sitzende

Schlafhaltung, schloss die Augen. In meinem Blickwinkel sah ich den Kameramann in imaginäre Weiten starren ohne erkennbare Anteilnahme an meinem Vortrag.

Schwer die Lesung bei null Feedback, wo an mancher Stelle wenigstens ein

Schmunzeln einsetzt.

„Danke, das war ’s. Sie bekommen vom Sender noch eine Videokassette

als Zusatzhonorar!“

 

Die mit meinem Namen angekündigte Lesung in der Programmzeitschrift ab zwei Uhr nachts bei tv.nrw wurde von einer Liebesschnulze verdrängt. Gegen vier Uhr siegte meine Müdigkeit, ließ Hoffnung übrig auf den nächsten Sendetermin, auf die eingeräumten Wiederholungen.

 

Ein Charmeur auf dem Bottroper Wochenmarkt sorgte bald für

Aufklärung:

„Hallo, du Bottroper Schriftstellerin! Wusste ja gar nicht, dass du auch dichten kannst.

Hab’ dich gesehen, morgens um fünf im Fernsehen, weil ich nicht schlafen konnte.

Supergeiler Sexfilm im Channel, heizte ganz schön ein, auf

einmal Panoramablick aufs Quadrat, dann deine Dichterlesung, einfach niedlich.

Sollte wohl der Abkühlung dienen!“

 

Jutta Kieber

 

aus: „Mückenstiche – Ein Stadtbuch der besonderen

Art“, erschienen im Verlag Pomp in Bottrop im November 2013.