T(R)äumerbrücke

 

"Wenn du lange genug mit deinen Tagetes gesprochen hast, könnten wir uns ja mal setzen!", sagt mein Mann.

"Aber hier spreche ich mit Fetter Henne!"

Aus der Pflanzenrabatte zu unseren Füßen strömt Honigduft.

"Kannst du dir vorstellen, dass es ganz genügsame Pflanzen gibt, die auch bei großer Trockenheit nicht verdorren?"

"Natürlich", antwortet mein Mann, "nur rede ich nicht mit ihnen."

"Bei meinem Opa am Ackerrand gab's Huflattichblätter so groß wie Klodeckel. Daraus hab' ich mir Sonnenhüte gemacht."

"Ach, ja?! Bei euch waren ja auch die Maikäfer so groß wie junge Fledermäuse."

Mein Mann grinst verschmitzt, hält mir den übertrieben großen Abstand zwischen seinem Daumen und Zeigefinger vor die Nase, während

meine Finger über rosarote Doldenkörbchen streichen.

 

Dort wo einst ein geräumiges rundes Klärbecken blubberte, lehnen wir aneinander auf einladenden Planken eines Sitzblocks – inmitten bepflanzter Terrassenkreise. Eine uns wärmende Blumenschüssel. Geborgenheit in friedlicher Atmosphäre.

Das 'Amphitheater der Pflanzen' hält den Atem an. Kein Kind bekraxelt das grüne Gewand der Emscherböschung. Getöpferte Figuren stecken verlassen auf langen Holzpfählen, erinnern an bunte Handpuppen. Die Rutsche am Hang richtet seinen Silberblick auf das träumende Restaurant.

 

Regen war diesen Montag angesagt. Jetzt schieben sich Sonnenstrahlen durchs Wolkendach, überrollen die große Senke mit wechselnden Farben.

Honiggelbe und violette Blüten tanzen ihren Reigen im Labyrinth der Stauden. Eine unsichtbare Hand kämmt blondierte hüfthohe Gräser. Sie wiegen sich zart auf halbrunden Inseln, scheinen zu wispern von Ruhe und Glückseligkeit.

Wenn sich die Ährenfelder wie ein Meer bewegen, geht

die gute Getreidefee spazieren. Großvaters Worte raunen durch meine Gedanken. In Kindertagen glaubte ich daran. Ich kannte weder Ost- noch Nordsee, nur ein riesiges Meer von Bördefeldern.

"Ist es nicht seltsam, dass ich hier in Bottrop in der Lehmkuhle lebe und als Kind in der Tonkuhle zu Hause war – bei uns in Hohenwarsleben?", frage ich mit kleiner Stimme.

"Na ja, das ist wohl nur ein komischer Zufall. Aber kein Wunder, dass du lieber mit Käfern und Diesteln sprichst, anstatt mit mir."

"Mit Teufelsbiss, das da ist Teufelsabbiss!", antworte ich lachend.

"Auch das noch", brummelt mein Mann, "keine Rohrbewohner im Parkhotel? Lass uns mal raufgehen."

Wuchtige Betonrohre lagern am oberen Gelände, verschlossen mit runden Türen in Zimmerhöhe. Fünf Röhren halten Blickkontakt zum malerisch angelegten Rondell aus Stauden und Fußwegen. Riesenhohe Laubbäume breiten wie monströse Wächter ihre Arme aus, beschützen die 'Schlafstuben der runden Mauern'.

"Wir könnten doch für die Hochzeitsnacht zu unserer Goldenen die Kanalröhren-Suite buchen! Wär' doch mal was ganz anderes! Und das direkt vor unsrer Haustür!", rufe ich meinem Mann zu.

Er hat schon die Anhöhe mit der Himmelsschaukel erreicht und bewegt die Aufhängung am hohen Metallgerüst.

"Meinst du, ich darf hier auch mal schaukeln?"

"Na klar, bist doch nicht viel schwerer als ein dickes Kind – nur viel älter!"

So war meine Frage nicht gemeint.

Schon hebe ich ab vom Boden der Wirklichkeit. Mein Mann schubst mich

in immer größere Schwingungen. Ich schaukle in zugiger Höhe - zurück in junge Jahre, finde Halt an dicken kühlen Ketten, genieße Augenblicke der

Schwerelosigkeit.

"Ich möchte noch mal auf die Träumerbrücke!", krähe ich in den Himmel, als könnte ich ein Echo erwarten.

"Das heißt Räumerbrücke!", belehrt mich mein Mann.

"Aber bei mir sind es Träumerbrücken, basta!"

 

Ein großer Schatten zieht über unsere Köpfe hinweg und landet am geräumigen Wasserbecken. Auf dem Rückweg sehen wir ihn am Ufer stehen – an der Manege der Goldfische – erstarrt zum 'Betonvogel', majestätisch und stolz wie eine bestellte Skulptur der Landschaftsarchitekten.

Durch mein Gedächtnis geistern fragmentarisch die Reden zur Einweihung des Bürgerparks. Ein Umweltpfleger muss ihn damals geäußert haben, diesen einen Satz, der wie ein Zitat in meiner Erinnerung geblieben ist:

Wenn der Fischreiher wieder Einzug hält am Ufer von Berne und Emscher, dann ist das biologische Gleichgewicht hier wieder in Ordnung.

 

Mein eigenes seelisches Gleichgewicht hängt sich augenblicklich zufrieden bei meinem Mann ein – schickt noch einen fröhlichen Blick zurück auf das idyllische Kleinod Bernepark.

Dass in meinem Kopf das "Forellenquintett" summt, verrate ich nicht,

jedenfalls nicht in diesem Moment.

 

Jutta Kieber

 

(veröffentlicht in "Bottroper Klümpkes" - 2016)